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Gefühle im Faktencheck: Warum du dich auch dann erholen solltest, wenn du dich fit fühlst

By David Roche & Megan Roche, M.D.

Die wichtigsten Trainingstage deiner Woche sind möglicherweise deine Ruhetage.

Die Artikelserie „Gefühle im Faktencheck“ befasst sich mit typischen Gefühlen, die Ausdauersportler im Training und Wettkampf erleben, und erklärt, was dabei tatsächlich mit dem Körper passiert. Mit dieser Serie wollen wir ein wissenschaftliches Fundament schaffen, um diese Wahrnehmungen besser einordnen zu können.   Stell dir folgendes Szenario vor: Du trainierst jeden Tag hart und hast das Gefühl, dass du dranbleiben solltest. Nur so wirst du besser, stimmt's? Du fühlst dich gut, bist bereit, dich weiter reinzuhängen ... aber dein Trainer sagt, du sollst am nächsten Tag eine Pause einlegen. Warum das? Für uns als Trainer*innen ist es wichtig, Diskussionen zum Thema Ruhetage aus wissenschaftlicher Perspektive zu führen. Viele Sportler haben das Gefühl, dass Trainingspausen verlorene Zeit seien, ja sogar ein Rückschritt. Dabei ist das konsequente Einplanen von Erholungstagen eine echte Gelegenheit, das Fitnessniveau enorm zu verbessern. Der Grund: Solche Ruhepausen unterstützen die Anpassung auf Zellebene und wie unser Nervensystem Trainingsbelastungen und andere Stressfaktoren verarbeitet. Training, ohne dem Körper eine Chance zur Anpassung zu geben, ist in höchstem Maße kontraproduktiv. Viel zu häufig lässt man sich in der Welt des Ausdauersports von starken Trainingsleistungen beeindrucken, ohne zu bemerken, dass dabei eigentlich ein langsamer Prozess der Selbstzerstörung stattfindet.

rest days advance your training
SPORTLER BETRACHTEN RUHETAGE OFT ALS RÜCKSCHRITT. IN WIRKLICHKEIT SIND SIE EINE GELEGENHEIT, EINEN GROSSEN SCHRITT NACH VORN ZU MACHEN.

Gut, wir wissen, dass das eine provokante Aussage ist, aber aus unserer Erfahrung als Trainer*innen wissen wir: Der stärkste Indikator dafür, welche Athleten es bei ähnlichen Grundvoraussetzungen letztendlich am weitesten bringen werden, ist ihre Fähigkeit, sich an ihre körperliche Arbeit anzupassen. Das gilt für Freizeitsportler wie Profis gleichermaßen. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, wie sich chronischer Stress auf das endokrine System (also das Hormonsystem), den Bewegungsapparat und das Nervensystem auswirkt. Dazu kommen individuelle genetische Unterschiede. Zunächst sehen wir uns eine Reihe von Studien an. Im Anschluss führen wir die gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen und zeigen, wie sich diese in hochinteressanten neuen WHOOP Daten widerspiegeln.  

AUSWIRKUNGEN VON ÜBERLASTUNG AUF DAS HORMONSYSTEM

Eine 2018 in der Fachzeitschrift Hormones veröffentlichte Studie kam zu dem Ergebnis, dass bei männlichen Sportlern, die mehr als sieben Stunden pro Woche trainieren, der Testosteronspiegel nach einem Jahr Training um 10 % und nach fünf Jahren Training sogar um 30 % zurückgeht. Laut einer Studie im International Journal of Environmental Research and Public Health aus dem Jahr 2020 sinkt der Testosteronspiegel innerhalb einer Saison mit steigendem Trainingsvolumen. Erst wenn sich das Trainingsvolumen stabilisiert, steigt er allmählich wieder auf den Normalwert an. Zahlreiche weitere Studien kommen bei männlichen Sportlern zu ähnlichen Ergebnissen und stellen einen Zusammenhang zwischen anhaltend hohem Trainingsvolumen und negativen Auswirkungen auf das Hormonsystem her. Bei Sportlerinnen ist diese Wechselwirkung aufgrund der monatlichen Schwankungen des Menstruationszyklus schwieriger zu untersuchen, aber es gibt tonnenweise Studien, die einen Zusammenhang zwischen geringer Energieverfügbarkeit und hormonellen Abweichungen nahelegen. In einem Artikel im International Journal of Sport Nutrition and Exercise Metabolism aus dem Jahr 2019 wird beschrieben, wie selbst kleine Abweichungen zwischen Energieverbrauch und Energiebedarf Sexualhormone unterdrücken, die Knochendichte beeinträchtigen, das Verletzungsrisiko erhöhen und die Anpassungsfähigkeit an Trainingsreize verringern können. Bei der Energieverfügbarkeit geht es nicht nur darum, wie es gelingt, dem Körper im Laufe eines Tages insgesamt genug Energie zuzuführen. Störungen des Hormonhaushalts können auch einem starken Ungleichgewicht innerhalb des Tages geschuldet sein (Ergebnis einer Studie an weiblichen Sportlerinnen im Jahr 2017 und männlichen Sportlern im Jahr 2018). Außerdem kann die chronische Belastung durch das Stresshormon Cortisol sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Athleten das endokrine System schädigen. Jeder Trainingstag birgt die Gefahr, dass die Produktion von Sexualhormonen heruntergefahren, die Cortisolproduktion angekurbelt und die Energieverfügbarkeit dadurch geringfügig beeinträchtigt wird. Ruhetage sind eine Rückversicherung für das endokrine System, denn sie ermöglichen die Wiederherstellung von Glykogen und die Stabilisierung des Cortisolspiegels. ERKENNTNIS: Die Stabilisierung des Hormonsystems ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich Sportler tatsächlich an die geleistete körperliche Arbeit anpassen können. Bildhaft gesprochen gilt: Wenn man beim Training permanent aufs Gaspedal drückt, überhitzt der Motor irgendwann – vorausgesetzt man jagt nicht vorher schon über eine Klippe.  

AUSWIRKUNGEN VON ÜBERBEANSPRUCHUNG AUF DEN BEWEGUNGSAPPARAT

Die meisten Verletzungen beginnen als geringfügige Veränderungen an Gewebe oder Knochen. In diesem frühen Stadium kann eine solche Veränderung tatsächlich auch einen Anpassungsreiz darstellen: Ein Tag Erholung sollte helfen, stärker ins Training zurückzukommen. Das Beängstigende bei solchen körperlichen Veränderungen ist, dass man anfangs vielleicht gar nichts merkt. Als motivierter Sportler fühlt es sich häufig an, als bewege man sich sicher auf festem Boden – dabei gleicht die ganze Sache in Wirklichkeit eher einem Drahtseilakt. Eine kleine Störung reicht, um dich aus der gesundheitlichen Balance zu bringen. Und aus einer zunächst kleinen Verletzung kann eine große Beeinträchtigung werden. Aus ein paar freien Tagen werden Wochen oder gar Monate, wieder und wieder geht es in die Kernspinuntersuchung, bis du schließlich vielleicht sogar zu dem Schluss kommst, dass sich der ganze Aufwand nicht lohnt. Kaputte Knie, brüchige Schienbeine, schmerzende Hüften. Was zu viel ist, ist zu viel.

most injuries start with overuse
DIE MEISTEN VERLETZUNGEN BEGINNEN ALS GERINGFÜGIGE VERÄNDERUNGEN AN GEWEBE ODER KNOCHEN, DIE SICH DURCH ÜBERLASTUNG VERSCHLIMMERN.

Aber oft lässt sich das verhindern – und zwar in viel mehr Fällen, als man meinen könnte. Unsere Teamdaten zeigen, dass geplante Ruhetage ungeplante verletzungsbedingte Ruhewochen und -monate verhindern können. Aber selbst wenn du einer der genetischen Glückspilze bist, die sich einfach nie verletzen: Das Prinzip dahinter gilt auch für dich, wenn sich dein Körper an hartes Training anpassen soll. Hier ist eine unserer absoluten Lieblingsstudien. In einer Fallstudie aus dem Jahr 2016, die in der Zeitschrift Physiology Reports veröffentlicht wurde, wurden täglich zahlreiche Blutwerte gemessen, darunter auch die Kreatinkinase als Indikator für Muskelschäden. Wenn ein Sportler auffällige Abweichungen aufwies, wurde das Training reduziert. Die Laufökonomie verbesserte sich signifikant bei den Athleten, die als Reaktion auf zelluläre Prozesse, die sie oft nicht einmal wahrnahmen, zusätzliche Ruhepausen einlegten. ERKENNTNIS: Geplante Ruhetage können ungeplante verletzungsbedingte Ruhewochen und -monate verhindern und gleichzeitig eine nachhaltige Anpassung unterstützen.  

DIE AUSWIRKUNGEN VON STRESS AUF DAS NERVENSYSTEM

Eine der schwierigsten Aufgaben für Sportler kann sein, zu verstehen, wie die tägliche Wahrnehmung des eigenen Befindens mit den tatsächlichen Vorgängen im Körper übereinstimmt. Das ist schon für den Hormonhaushalt und die Blutwerte ein großes Problem, aber für das Nervensystem ist es besonders schwierig. Im schlimmsten Fall kann eine mangelhafte Stressüberwachung zu einem Übertrainingssyndrom führen. Das Ergebnis: Das Nervensystem macht dicht und Spitzenleistungen werden gänzlich unmöglich. Ein Bericht im Current Sports Medicine Reports aus dem Jahr 2014 formuliert es so: „Durch das schleichende Auftreten von OTS [Overtraining Syndrome] nimmt die Effizienz der Erholung langsam immer weiter ab, sodass der Sportler nicht mehr in der Lage ist, zuvor erreichbare Ziele zu erreichen.“ Erst geschieht es in unmerklich kleinen Schritten, doch dann eskaliert die Situation und OTS ist nicht mehr aufzuhalten. Aber schon lange vor dem klinischen Übertraining können Erholung und Leistung durch Überlastung leiden.

HRV and whoop recovery
WHOOP ÜBERWACHT DIE HERZFREQUENZVARIABILITÄT UND BERECHNET DARAUS DIE TÄGLICHE ERHOLUNG, EIN MASS FÜR DIE LEISTUNGSBEREITSCHAFT DES KÖRPERS.

Jeder Stressimpuls wird vom Nervensystem aufgenommen und verarbeitet. Das Nervensystem bestimmt unsere Leistungsfähigkeit, wie wir auf Training reagieren und wie wir uns anpassen. Durch die genaue Messung der Herzfrequenzvariabilität ermöglicht WHOOP die Überwachung des Nervensystems und liefert uns einen Einblick, was in unserem Körper tatsächlich vor sich geht. Dann sehen wir uns doch mal einige dieser coolen WHOOP Daten an.  

AUSWIRKUNG EINES RUHETAGES AUF DIE WHOOP ERHOLUNG

Die Informationen stammen aus einem umfangreichen Datensatz über „rote“ Tage von WHOOP Mitgliedern. Die WHOOP Erholung sagt uns, dass ihr Körper an einem solchen roten Tag nicht auf weitere Belastung ausgelegt ist. Diese Erkenntnis stützt sich in erster Linie auf die Variablen des Nervensystems. Die große Frage lautet nun: Wie wirkt sich die Trainingsbelastung an einem roten Tag auf die WHOOP Variablen am nächsten Tag aus? WHOOP Mitglieder, die an einem roten Tag eine erholsame (niedrige) Belastung verzeichneten, wiesen eine 2,3-mal geringere Wahrscheinlichkeit für einen weiteren roten Tag auf als Mitglieder, die sich „überlasteten“, also eine Belastung oberhalb der Empfehlung aufbauten. Darüber hinaus konnten 85 % der Mitglieder, die an einem roten Tag eine erholsame Belastung aufwiesen, einen zweiten roten Tag vermeiden. Überlastung an einem roten Tag hingegen bedeutete eine 46-prozentige Chance auf einen weiteren roten Tag, und Mitglieder mit zwei roten Tagen in Folge verzeichneten mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa einem Drittel auch noch einen dritten roten Tag.

strain on red recovery day
EINE HÖHERE BELASTUNG AN EINEM ROTEN TAG ERHÖHT DIE WAHRSCHEINLICHKEIT, AM NÄCHSTEN TAG IM ROTEN BEREICH ZU BLEIBEN, UND VERRINGERT DIE WAHRSCHEINLICHKEIT, WIEDER IN DEN GRÜNEN BEREICH ZU KOMMEN.

Am problematischsten ist hier die ununterbrochene Abfolge roter Tage, die bei kontinuierlichem hartem Training auftritt, und welche Auswirkungen dies auf das Nervensystem hat. Ein Tag hier oder da, an dem die HFV sinkt, ist normal und wird die Anpassungsfähigkeit wahrscheinlich nicht groß beeinträchtigen. Aber die Häufung von solchen roten Tagen kann sich nicht nur auf die Leistung, sondern auch auf die langfristige Gesundheit auswirken. ERKENNTNIS: Überbelastung an roten Tagen kann ein Risiko für deine langfristige Gesundheit und Leistungsfähigkeit darstellen.  

FAZIT

Unsere Überzeugung ist, dass jeder Sportler einmal pro Woche einen vollständigen Ruhetag einlegen sollte. Wir können nicht täglich das Blutbild überprüfen oder Hormonmessungen im Speichel durchführen, doch glücklicherweise gibt uns WHOOP wertvolle Einblicke, wie der Körper tatsächlich auf Belastungen reagiert. Unsere Beobachtungen decken sich mit den Erkenntnissen aus den WHOOP Daten: Wenn Sportler es versäumen, dem Körper durch konsequente Ruhe und Erholung eine Gelegenheit zur Anpassung zu geben, können sie noch so viel trainieren – ihre Leistung wird bestenfalls stagnieren, und im schlimmsten Fall drohen ernsthafte Verletzungen. Deshalb: Sei stolz auf deine Ruhetage. Nicht dein Training macht dich zum Champion. Sondern deine Erholung.