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Warum Schlaf so wichtig für die psychische Gesundheit ist
Ein Gespräch mit Dr. Mark Czeisler über den Zusammenhang zwischen Schlaf und psychischer Gesundheit.
Dr. Mark Czeisler ist Doktor der Psychologie und studiert derzeit an der Harvard Medical School. Er forscht als Research Fellow am Turner Institute for Brain and Mental Health und ist federführender Autor einer jüngst veröffentlichten Studie, die die Auswirkungen früheren Schlafverhaltens auf die psychische Gesundheit während der COVID-19-Pandemie untersucht. Ist der Zusammenhang zwischen besserem Schlaf und psychischer Gesundheit wirklich ein Thema, das für die breitere Öffentlichkeit relevant ist? Mark Czeisler: Oh ja, durchaus. Ich betrachte das Thema aus zwei Perspektiven. Erstens: Auch für gesunde Menschen ist Schlaf enorm wichtig, vor allem für Aspekte der geistigen Leistungsfähigkeit wie Aufmerksamkeit und Kognition. Und auch die Konsolidierung von Erinnerungen und emotionale Verarbeitung finden im Schlaf statt. Und zweitens sehen wir bei Menschen, die entweder unter einer Schlafstörung oder einer psychischen Erkrankung leiden, eine starke bidirektionale Beziehung zwischen Schlaf und psychischer Gesundheit. 75 % der Menschen mit einer depressiven Störung zeigen auch Symptome von Schlaflosigkeit. Der gestörte Schlaf kann zur Depression beitragen oder die Depression führt zu gestörtem Schlaf – in den meisten Fällen liegt tatsächlich eine Kombination aus beiden Faktoren vor.
WIE HÄNGEN SCHLAF UND PSYCHISCHE GESUNDHEIT ZUSAMMEN?
Betrachten wir noch einmal genauer, welche Auswirkungen unser Schlaf auf die psychische Gesundheit hat. Was sind für Sie die drei wichtigsten Erkenntnisse? MC: Meiner Ansicht nach setzt sich Schlaf aus drei Säulen zusammen – Konsistenz, Dauer und Qualität. Der erste Aspekt ist sicherlich die Optimierung dieser Schlüsselelemente. Ein Screening auf Schlafstörungen oder zirkadiane Störungen kann dabei helfen. Beispielsweise werden 80 % der Fälle von obstruktiver Schlafapnoe, die alle möglichen Folgen haben kann, nicht diagnostiziert oder nicht behandelt. Der zweite Punkt ist, dass es im Leben immer Höhen und Tiefen gibt. Wir sprechen immer darüber, wie wichtig es ist, Schlaf, psychische Gesundheit, Ernährung, Bewegung usw. zu optimieren, aber die Realität ist: Es wird im Leben jedes Menschen Zeiten geben, in denen es nicht möglich ist, die idealen Routinen einzuhalten und in all diesen Bereichen gut abzuschneiden. Deshalb ist die Erkenntnis so wertvoll, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen früherem Verhalten und früheren Schlafmustern und damit, wie Menschen mit schwierigen Situationen umgehen – darauf werden wir später noch genauer eingehen. Wenn man sich solche guten Verhaltensweisen rechtzeitig aneignet, kann man darauf in schwierigen Zeiten zurückgreifen. Und schließlich der dritte Aspekt: Für Menschen, die an einer psychischen Erkrankung oder an Schlafstörungen leiden, gibt es verschiedene wirksame Behandlungsmöglichkeiten. Eine davon ist die kognitive Verhaltenstherapie, die sich bei der langfristigen Behandlung von Menschen mit Depressionen, Ängsten und Selbstmordgedanken als wirksam erwiesen hat. In einigen Fällen kann eine solche Therapie auch die Symptome von Schlaflosigkeit lindern, auch wenn sie nicht speziell dafür entwickelt wurde. Im Idealfall lässt sich das Auftreten solcher Krankheiten verhindern, aber selbst wenn es dafür zu spät ist, lohnt es sich, die Hilfe eines Facharztes in Anspruch zu nehmen. Neben der Behandlung des Kernproblems lässt sich dadurch üblicherweise auch die Gesundheit insgesamt verbessern. Was passiert während des Schlafs, das so wichtig für unsere geistige Gesundheit ist? MC: Ein zentraler Aspekt ist die Konsolidierung von Erinnerungen und die emotionale Verarbeitung. Wenn wir tagsüber Dinge erleben, bauen wir einen Pool potenzieller Erinnerungen auf, die nachts im Langzeitspeicher verankert werden können. Ein großer Teil dieser Konsolidierung erfolgt in der Phase des REM-Schlafs – die meisten emotionalen Erinnerungen werden während des gesunden REM-Schlafs verarbeitet. Dieser Prozess kann bei einer psychischen Erkrankung gestört sein. Eine viel beachtete Hypothese ist, dass bei Menschen mit Depressionen ein abnormales Muster der emotionalen Verarbeitung während des REM-Schlafs vorliegt.
SCHLAFMANGEL UND PSYCHISCHE GESUNDHEIT
Wie wirkt sich zu wenig Schlaf negativ auf unsere psychische Gesundheit aus? MC: Sicher nachgewiesen ist ein Zusammenhang zwischen zu wenig Schlaf und negativen psychischen Symptomen. Darüber hinaus kann eine Dysregulation der funktionellen Gehirnaktivität während des Schlafs die Folge sein. Wenn uns Schlaf fehlt, läuft die Amygdala, ein Teil des Gehirns, der für emotionale Reaktionen zuständig ist, auf Hochtouren. Bei einer mithilfe von MRI-Gehirnscans durchgeführten Studie reagierte die Amygdala bei Studienteilnehmern, die unter akutem Schlafmangel litten, um etwa 60 % stärker als bei Menschen, die normal schliefen und gut ausgeruht waren. Bei Schlafmangel ist also die Fähigkeit, auf potenziell emotionsgeladene Ereignisse zu reagieren, beeinträchtigt. Und was noch schlimmer ist: Die erhöhte emotionale Reaktivität, die mit der Hyperaktivität der Amygdala zusammenhängt, geht mit einer Dysregulation des präfrontalen Kortex einher, eines anderen Hirnbereichs, der für die Entscheidungsfindung zuständig ist. Schlafmangel bewirkt also nicht nur eine stärkere emotionale Reaktivität aufgrund der Überaktivität der Amygdala – gleichzeitig ist auch der präfrontale Kortex weniger gut in der Lage, diese Informationen zu integrieren und Impulse zu kontrollieren. Was ist mit Nickerchen? Glauben Sie, dass sie die psychische Gesundheit unterstützen? MC: Nickerchen sind ja schon immer ein etwas kontroverses Thema gewesen. Meiner Meinung nach ist die Art des Nickerchens entscheidend. Nickerchen können sich auf jeden Fall positiv auf die Psyche auswirken. Sie helfen, Stress abzubauen, das Risiko einer kognitiven Dysfunktion zu verringern und die Gedächtnisleistung zu verbessern und unterstützen insbesondere das episodische Gedächtnis. Geplante und regelmäßige Nickerchen können also sehr nützlich sein. Anders sieht es mit ungeplanten, zufälligen Nickerchen aus, also einfach wegzunicken, wenn man müde ist. Das kann zu Unregelmäßigkeiten bei der Schlafenszeit führen und möglicherweise auf ein zugrunde liegendes medizinisches Problem hinweisen.
STUDIENERGEBNISSE ZU DEN VORTEILEN REGELMÄẞIGEN SCHLAFS FÜR DIE PSYCHISCHE GESUNDHEIT
Was waren die wichtigsten Erkenntnisse aus dem COVID-Resilienzprojekt über den Zusammenhang zwischen Schlaf und psychischer Gesundheit und vor allem mit Bezug auf die Schlafkonsistenz? Was lässt sich darüber sagen, wie die Schlafgewohnheiten der Menschen vor der Pandemie ihnen während der Pandemie zugute kamen? MC: Menschen mit ausreichender Schlafdauer und hoher Schlafkonsistenz vor Corona litten in den ersten Monaten der Pandemie mit geringerer Wahrscheinlichkeit unter negativen psychischen Symptomen, selbst wenn sich ihre Schlafgewohnheiten während der Pandemie verschlechterten. Diese Ergebnisse waren deshalb besonders spannend, weil sie zeigen, dass man sich bis zu einem gewissen Grad vorbereiten und durch gesundheitsfördernde Verhaltensweisen, einschließlich gutem Schlaf, quasi einen „Resilienzvorrat“ anlegen kann, auf den man dann beim Auftreten außergewöhnlicher Stressfaktoren oder Lebensereignisse – selbst bei einer Pandemie – zurückgreifen kann. Das ist wirklich ermutigend. Was ist Ihrer Meinung nach ein ganz wichtiger Punkt in Bezug auf die psychische Gesundheit, den die meisten von uns wahrscheinlich nicht kennen? MC: Depressionen sind die häufigste Behinderung weltweit. Eine Depression ist eine sehr ernst zu nehmende, schwerwiegende psychische Erkrankung, und dabei doch nur eine von vielen. Etwa die Hälfte aller psychischen Erkrankungen beginnt im Teenageralter, 75 % der Erkrankungen treten bis Mitte 20 auf. Diese Jahre sind sehr prägend für einen Menschen. Deshalb ist es so wichtig, in den ersten Lebensjahrzehnten Unterstützung zu erhalten und viele gesunde Verhaltensweisen zu verankern, um das Auftreten von psychischen Erkrankungen zu verhindern. Psychische Erkrankungen begleiten einen oft eine sehr lange Zeit und durchziehen alle Lebensbereiche. Für eine Verbesserung der psychischen Gesundheit der gesamten Bevölkerung sind Investitionen auf persönlicher, institutioneller, gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene notwendig. Wir müssen erkennen, dass die psychische Gesundheit ein ganz wesentlicher Teil der Gesamtgesundheit ist! Website der Initiative „United for Global Mental Health“